Lalin – Bandeira

Heute morgen zeigte der erste km-Stein 36,… an, jetzt am Nachmittag der letzte 24,454. Es geht also mit Riesenschritten dem Ende zu. Morgen mache ich noch einen normalen Pilgertag und am Freitag nur mehr die restlichen 9-12 km. Ich möchte am Vormittag in Santiago ankommen, wo hoffentlich noch nicht so viel los sein wird. Obwohl: dieses Wochenende ist großer Marienfeiertag, die Stadt dürfte ziemlich voll sein. Zwei große Alberguen, in denen ich wegen eines Bettes angefragt hatte, sind voll. Inzwischen hab ich aber ein Bett, sogar für zwei Nächte.
Heute also trafen sich der Weg vom Süden und der Winterweg, kurzfristig waren etwas mehr Menschen unterwegs, aber am Nachmittag ging ich wieder ganz alleine und hier in der Herberge sind wir wieder zwei, bei 36 Betten! Diesen Weg bin ich ja 2023 schon gegangen. Es ist interessant, dass ich mich tatsächlich nur an die alte Brücke erinnern konnte, mit dem Stein mit römischer Inschrift, wo als Errichtungsdatum das Jahr 912 angegeben wird.

Sonst ist der Weg sehr unspektakulär : es ging wieder auf alten Landstraßen entlang, durch Dörfer mit großen bellenden Hunden (hinter Zäunen), entlang von großen Kuhställen für die Fleischproduktion und durch schöne Wälder. Manchmal gehe ich auch auf alten Steinwegen und bestaune die riesigen Bäume. Gut verwurzelt konnten sie unglaubliche Größe entwickeln. Ein schönes Symbol.

Wenn ich so in Stille gehe, habe ich viel Zeit zum Nachdenken. Da fällt mir wieder der Pilgervater Jose Luis in Tosantos ein. Er wollte mich ja weiterschicken, weil ich Vegetarierin bin. Vor dem gemeinsamen Abendessen hat er uns damals einen kleinen Vortrag gehalten über das, was auf dem Camino wichtig ist. Und einer seiner Gedanken beschäftigt mich immer wieder auf dem Weg: Geh in Stille! Suche nicht nach Antworten, sondern schau, welche Fragen der Camino dir stellt.
Das erinnert mich an den Satz von Rainer Maria Rilke:
‚Leben Sie jetzt die Fragen. Vielleicht leben Sie dann allmählich, ohne es zu merken, eines fernen Tages in die Antwort hinein.‘
Wir stellen uns bei jeder Begegnung gegenseitig viele Fragen hier auf dem Weg, geben uns einander inspirierende Antworten, oder wenn wir keine Antwort wissen oder bekommen, so nehmen wir doch die Fragen mit.

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