Bandeira – Sergude

Seit ich in Spanien angekommen bin, frage ich mich immer wieder, ob die vielen Menschen, die aus der ganzen Welt hier unterwegs sind, das finden, was sie sich erwarten. Vielleicht hoffen sie auf innere Einkehr, Sinnfindung, spirituelle Erlebnisse, so wie es in manchen Filmen dargestellt wird. Ich habe Debbie, einer Amerikanerin, einmal diese Frage gestellt. Sie hat sich den Weg zum 70. Geburtstag geschenkt und ist mit ihrer ehemaligen Arbeitskollegin unterwegs. Die beiden tun sich schwer miteinander, 24/7 zusammen zu sein, ist nicht so einfach. Unter Tränen hat Debbie gesagt, dass es ganz anders sei, als sie es sich vorgestellt hatte.
Eine Frage hat Debbie mir gestellt: ob ich auf dem Camino schon ein Wunder erlebt habe. Nach kurzem Nachdenken meinte ich: ja, immer wieder erlebe ich hier diese kleinen Wunder. Aber ich glaube, sie hat sich ein richtig großes Wunder erhofft.
Später bekam sie Probleme mit dem Knöchel, ging verbissen weiter, bis es nicht mehr möglich war. Debbie musste abbrechen. Inzwischen sind die beiden wieder zu Hause. Wie groß diese Enttäuschung sein muss! Debbie und ihre Freundin bei unserem letzten Treffen:

Probleme mit den Füßen hab ich viele gesehen, gestern hat es auch mich erwischt. Mein linker Vorderfuß tat so weh, dass ich nicht mehr abrollen konnte. Ich mache das viele Gehen auf Asphalt- und Schotterstraßen dafür verantwortlich. Jedenfalls war ich froh, dass bei der Herberge ein supermercado gleich ums Eck war, weiter hätte ich nicht mehr gehen wollen. Und es war gut, dass ich im Quartier vorher die Küche gecheckt hatte: es gab eine lange Küchenzeile mit zweimal vier Ceranfeldern, ganz viele Laden, aber in denen war absolut nichts drinnen! Nur ein Löffel und eine Gabel aus Plastik! Es hätte im Geschäft sogar tiefgekühlten Quinoa mit Gemüse gegeben, das hätte mir geschmeckt. Aber wie in der Mikrowelle aufwärmen, wenn es kein Teller gibt? Also Brot und Käse, und davon blieb noch Proviant für den neuen Tag.
Die Herberge war übrigens ein Containerdorf. Der zweite Pilger, ein Spanier, startete um 5 Uhr, damit er nachmittags in Santiago ankommt und noch den Bus nach Hause, nach Sevilla, nehmen kann, von wo er auch weggegangen war. Er wirkte mir etwas gestresst, war an diesem Tag 50 km gegangen und hatte Probleme mit seiner Hüfte. Aber leider nur diese vier Wochen Zeit!

Wie dankbar kann ich dagegen sein. Ich bin heut den 36. Tag unterwegs, von den insgesamt ca 870 km fehlen mir noch 10 zum Ziel. Ich spüre, dass es Zeit ist, mich von diesem Weg zu verabschieden und ich bin den heutigen Nachmittag wirklich sehr bewusst Schritt für Schritt gegangen.
Ein besonderer Ort des Tages war der Berg ‚Pico Sacro‘, der Heilige Berg Galiciens. Er ist untrennbar mit Santiago verbunden, hier sieht man zum ersten Mal auf die Stadt. Und die beiden Gefährten hätten den Apostel Jakobus eigentlich hier begraben sollen, nur hat die Königin Lupa und ihr Drache das verhindert. So wurde der Leichnam in Santiago bestattet und deswegen gehen wir alle dorthin und nicht zum Pico Sacro. Ich hätte ihn gerne bestiegen, aber es wäre ein Umweg gewesen und das hab ich mir mit meinem Fußproblem nicht zugetraut. Ich war schon froh, dass ich diese 24 km halbwegs gut geschafft habe. Auch das ist ein kleines Wunder für mich.
Was bedeutet eigentlich ‚Wunder‘ für dich? Hast du schon einmal ein Wunder erlebt?

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