Santiago

Die Kathedrale war gestern Abend schon 45 Minuten vor Beginn der Messe so voll, dass ich nur mehr einen Platz am Boden bekam. Beim spirituellen Rundgang hatten wir gesehen, dass die Kohle für das berühmte Botafumeiro-Ritual angezündet wurde, es würde also der Weihrauchkessel geschwenkt werden. Ich habe ja die Vermutung, dass viele nur deswegen drinnen sitzen und nicht wissen, dass das hier eine Hl. Messe ist. So setzte sich, während ich bei der Kommunion war, eine Asiatin auf meinen Bodenplatz und checkte ihre nächsten Unterkünfte auf booking.com. So konzentriert, dass sie von ihrer Nachbarin auf den Botafumeiro hingewiesen werden musste. Dann wurde natürlich gefilmt. Als sie sich dann noch während des Ave Maria mit ihrer Nachbarin ohne Ende austauschte, konnte ich nicht anders als sie darauf hinzuweisen, dass das hier ein Gebet, eine Heilige Messe sei. Sie war dann stumm und hoffentlich auch betroffen.
Mir tut das weh, wenn Menschen sich so respektlos verhalten.

Heute morgen erwartete ich nach der deutschsprachigen Messe und einem gemütlichen Austausch meine britsche Pilgerfreundin, und mit ihr verbrachte ich den restlichen Vormittag auf dem Platz vor der Kathedrale. Es ist so schön, da Menschen wiederzutreffen, die ich irgendwann auf dem Weg gesehen habe, z.B. einige Deutsche in Pamplona, am 3. Tag des Weges! Alle kommen früher oder später hier an.
Ich werde ja, nach einem kurzen Abstecher nach Porto und Fatima hierher zurückkommen und bis Ende des Monats bei der Pilgerseelsorge mitarbeiten. Vielleicht noch eine Möglichkeit, Menschen wiederzusehen..
Eine, die ich am Weg immer wieder verloren glaute und dann unerwartet wiedersah, war Giorgia, die junge Italienerin. Und gestern, um 21 Uhr, stand sie plötzlich neben mir an der Kreuzung! Sie hatte bei der Abendreflexion in Bercianos etwas gesagt, womit ich diesen Blog für heuer schließen möchte:
‚der Camino hilft mir, die besserer Seite von mir selbst zu entwickeln.‘
Möge mir und uns allen das immer wieder gelingen, auf dem Jakobsweg und auf den verschiedenen Wegen unsere Lebens. Dann kann die Welt insgesamt eine bessere werden.
Danke dafür, dass ihr mich auf meinem Weg begleitet habt, es war eine tolle, bunte, spannende Zeit.
Auch wenn ich alleine unterwegs war, hab ich mich sehr mit euch verbunden gefühlt. Vielleicht gibt es ja Anfang Mai eine Fortsetzung, denn ich habe vor, dann den Camino Frances fertig zu pilgern, mit hoffentlich etwas weniger anderen Menschen.

Sergude – Santiago de Compostela

Auch eine Reise von 1000 Meilen fängt mit dem ersten Schritt an…Vertraue und gehe….
Dieses Lied begleitete mich in den letzten Tagen. Am 4. September startete ich diesen Weg an der französisch-spanischen Grenze, heute, 37 Tage später, habe ich mein Ziel erreicht! Die Schritte in der ersten Zeit waren schön, erhebend, voller Vorfreude und Neugierde. Zwischendurch war es manchmal hart, eintönig, mühsam, aber mir half der Gedanke, dass jeder getane Schritt mich meinem Ziel näher bringt. Und bei einer Hochrechnung bin ich auf ca 50.000 Schritte pro Tag alleine auf dem Weg gekommen! In Summe waren das einige Millionen! In den letzten Tagen war ich fast traurig, dass die Regelmäßigkeit des täglichen Pilgerns zu Ende geht und ich mich auf Neues einstellen muss.
Ganz bewusst setzte ich heute jeden Schritt, freute mich über den Sonnenaufgang hinter dem Pico Sacro, war unendlich berührt, als ich das erste Mal die Stadt Santiago vor mir sah. Demut, Dankbarkeit, Stolz, unglaublicher Freude, … so viele Gefühle in mir.

Und dann stand ich wieder hier, an der Praza de Obradoiro, vor meiner Lieblingskathedrale. Es war ca 11 Uhr und schon viel los. Mit einem französischen Paar, das von Le Puy in 53 Tagen hierher gepilgert ist, machten wir gegenseitig Fotos, dann saß ich sehr lange an einer Säule und beobachtete das Geschehen: Santiago ist tatsächlich die Stadt der unglaublich fröhlichen Gesichter und der maroden Füße! Kaum jemand, der keine Fuß-/Kniebandage trägt, so viele Leute humpeln! Aber alle sind froh und glücklich, es geschafft zu haben.

Zur Belohnung gönnte ich mir im Lokal neben der Kathedrale Churros con Chocolate und traf dort Ela, eine holländische Pilgerin, die ich Wochen vorher kennengelernt hatte. Es war ein netter Austausch über das, was wir beide in der Zwischenzeit erlebt hatten. Auch sie hat einen geschwollenen Knöchel , aber nicht wegen der 800 km, die sie gegangen ist, sondern weil sie im Postamt in Santiago über die Schwelle gefallen ist. So ein Pech! Irgendwann war es dann Zeit, mein Quartier zu beziehen, abends möchte ich noch am spirituellen Rundgang teilnehmen, den ich später ja selbst anbieten werde, und auch die Pilgermesse besuchen. Davon werden ich morgen noch berichten und auch von meinen weiteren Plänen.

Bandeira – Sergude

Seit ich in Spanien angekommen bin, frage ich mich immer wieder, ob die vielen Menschen, die aus der ganzen Welt hier unterwegs sind, das finden, was sie sich erwarten. Vielleicht hoffen sie auf innere Einkehr, Sinnfindung, spirituelle Erlebnisse, so wie es in manchen Filmen dargestellt wird. Ich habe Debbie, einer Amerikanerin, einmal diese Frage gestellt. Sie hat sich den Weg zum 70. Geburtstag geschenkt und ist mit ihrer ehemaligen Arbeitskollegin unterwegs. Die beiden tun sich schwer miteinander, 24/7 zusammen zu sein, ist nicht so einfach. Unter Tränen hat Debbie gesagt, dass es ganz anders sei, als sie es sich vorgestellt hatte.
Eine Frage hat Debbie mir gestellt: ob ich auf dem Camino schon ein Wunder erlebt habe. Nach kurzem Nachdenken meinte ich: ja, immer wieder erlebe ich hier diese kleinen Wunder. Aber ich glaube, sie hat sich ein richtig großes Wunder erhofft.
Später bekam sie Probleme mit dem Knöchel, ging verbissen weiter, bis es nicht mehr möglich war. Debbie musste abbrechen. Inzwischen sind die beiden wieder zu Hause. Wie groß diese Enttäuschung sein muss! Debbie und ihre Freundin bei unserem letzten Treffen:

Probleme mit den Füßen hab ich viele gesehen, gestern hat es auch mich erwischt. Mein linker Vorderfuß tat so weh, dass ich nicht mehr abrollen konnte. Ich mache das viele Gehen auf Asphalt- und Schotterstraßen dafür verantwortlich. Jedenfalls war ich froh, dass bei der Herberge ein supermercado gleich ums Eck war, weiter hätte ich nicht mehr gehen wollen. Und es war gut, dass ich im Quartier vorher die Küche gecheckt hatte: es gab eine lange Küchenzeile mit zweimal vier Ceranfeldern, ganz viele Laden, aber in denen war absolut nichts drinnen! Nur ein Löffel und eine Gabel aus Plastik! Es hätte im Geschäft sogar tiefgekühlten Quinoa mit Gemüse gegeben, das hätte mir geschmeckt. Aber wie in der Mikrowelle aufwärmen, wenn es kein Teller gibt? Also Brot und Käse, und davon blieb noch Proviant für den neuen Tag.
Die Herberge war übrigens ein Containerdorf. Der zweite Pilger, ein Spanier, startete um 5 Uhr, damit er nachmittags in Santiago ankommt und noch den Bus nach Hause, nach Sevilla, nehmen kann, von wo er auch weggegangen war. Er wirkte mir etwas gestresst, war an diesem Tag 50 km gegangen und hatte Probleme mit seiner Hüfte. Aber leider nur diese vier Wochen Zeit!

Wie dankbar kann ich dagegen sein. Ich bin heut den 36. Tag unterwegs, von den insgesamt ca 870 km fehlen mir noch 10 zum Ziel. Ich spüre, dass es Zeit ist, mich von diesem Weg zu verabschieden und ich bin den heutigen Nachmittag wirklich sehr bewusst Schritt für Schritt gegangen.
Ein besonderer Ort des Tages war der Berg ‚Pico Sacro‘, der Heilige Berg Galiciens. Er ist untrennbar mit Santiago verbunden, hier sieht man zum ersten Mal auf die Stadt. Und die beiden Gefährten hätten den Apostel Jakobus eigentlich hier begraben sollen, nur hat die Königin Lupa und ihr Drache das verhindert. So wurde der Leichnam in Santiago bestattet und deswegen gehen wir alle dorthin und nicht zum Pico Sacro. Ich hätte ihn gerne bestiegen, aber es wäre ein Umweg gewesen und das hab ich mir mit meinem Fußproblem nicht zugetraut. Ich war schon froh, dass ich diese 24 km halbwegs gut geschafft habe. Auch das ist ein kleines Wunder für mich.
Was bedeutet eigentlich ‚Wunder‘ für dich? Hast du schon einmal ein Wunder erlebt?

Lalin – Bandeira

Heute morgen zeigte der erste km-Stein 36,… an, jetzt am Nachmittag der letzte 24,454. Es geht also mit Riesenschritten dem Ende zu. Morgen mache ich noch einen normalen Pilgertag und am Freitag nur mehr die restlichen 9-12 km. Ich möchte am Vormittag in Santiago ankommen, wo hoffentlich noch nicht so viel los sein wird. Obwohl: dieses Wochenende ist großer Marienfeiertag, die Stadt dürfte ziemlich voll sein. Zwei große Alberguen, in denen ich wegen eines Bettes angefragt hatte, sind voll. Inzwischen hab ich aber ein Bett, sogar für zwei Nächte.
Heute also trafen sich der Weg vom Süden und der Winterweg, kurzfristig waren etwas mehr Menschen unterwegs, aber am Nachmittag ging ich wieder ganz alleine und hier in der Herberge sind wir wieder zwei, bei 36 Betten! Diesen Weg bin ich ja 2023 schon gegangen. Es ist interessant, dass ich mich tatsächlich nur an die alte Brücke erinnern konnte, mit dem Stein mit römischer Inschrift, wo als Errichtungsdatum das Jahr 912 angegeben wird.

Sonst ist der Weg sehr unspektakulär : es ging wieder auf alten Landstraßen entlang, durch Dörfer mit großen bellenden Hunden (hinter Zäunen), entlang von großen Kuhställen für die Fleischproduktion und durch schöne Wälder. Manchmal gehe ich auch auf alten Steinwegen und bestaune die riesigen Bäume. Gut verwurzelt konnten sie unglaubliche Größe entwickeln. Ein schönes Symbol.

Wenn ich so in Stille gehe, habe ich viel Zeit zum Nachdenken. Da fällt mir wieder der Pilgervater Jose Luis in Tosantos ein. Er wollte mich ja weiterschicken, weil ich Vegetarierin bin. Vor dem gemeinsamen Abendessen hat er uns damals einen kleinen Vortrag gehalten über das, was auf dem Camino wichtig ist. Und einer seiner Gedanken beschäftigt mich immer wieder auf dem Weg: Geh in Stille! Suche nicht nach Antworten, sondern schau, welche Fragen der Camino dir stellt.
Das erinnert mich an den Satz von Rainer Maria Rilke:
‚Leben Sie jetzt die Fragen. Vielleicht leben Sie dann allmählich, ohne es zu merken, eines fernen Tages in die Antwort hinein.‘
Wir stellen uns bei jeder Begegnung gegenseitig viele Fragen hier auf dem Weg, geben uns einander inspirierende Antworten, oder wenn wir keine Antwort wissen oder bekommen, so nehmen wir doch die Fragen mit.

Rodeiro -Lalin

Als dritte Fahrspur einer Autostraße, so startete heut der Camino (aber diesmal mit Frühstück). Und er führte wieder ganz lang auf alten Landstraßen und Schotterwegen dahin, da waren nur einige schöne Plätze, die zum Fotografieren einluden.
Zum Beispiel, wenn es durch Wälder ging mit riesigen Steineichen und Föhren, oder wenn Edelkastanien, Birken und Nussbäume den Weg beschatteten. Die Kastanienbäume hier sind nicht annähernd so dick wie jene, die verbrannt sind. Das macht traurig.
Und es beginnen auch diese Eukalyptusplantagen für die Papierproduktion, wenn die zu brennen beginnen, ist das wie ein Strohfeuer.

Am Morgen ist es zwar immer noch kalt, aber tagsüber ist es immer sonnig und die Temperatur steigt auf ungefähr 25°. Da such ich dann gern den Schatten der Bäume.
Es gab heut wieder auf dem ganzen Weg keine einzige Einkehrmöglichkeit, nicht einmal eine Bank zum Ausrasten. Da ist es gut, dass ich meine Matte mithaben, auf die kann ich mich setzen. Ich bin ja in Galicien und da ist es zwar sehr grün, der Boden aber sehr feucht.
Und ich hatte diesmal auch etwas zu Essen mit. Wobei mir aufgefallen ist, dass es hier in den Dörfern öfter Apotheken als Lebensmittelgeschäfte gibt! Und das Angebot hält sich in Grenzen. Gestern war ich sogar in einem Spar. Aber dort gab es kein frisches Brot, nur Toastbrot und abgepackte süße Weckerl, auch sonst fast nichts, das ich gern kaufen würde. Und Eis gibt es nicht einzeln, sondern nur im 4er oder 6er Pack.

Gegen Ende des Weges wird es jeden Tag anstrengend. Da würde ich mich nach einem Kaffee sehnen, der neue Energie gibt. Und am liebsten noch etwas Süßes dazu. Diese Kaffeejause am Nachmittag , das verstehen sie in Spanien gar nicht. Sie essen Süßes zum Kaffee am Morgen: Madalenas, das sind kleine Biskuitmuffins, oder Croissants oder Neapolitanas – Blätterteig mit Schokolade gefüllt. Nachmittags gibt es nur Kaffee solo und dann kommt ja das große Abendessen, am liebsten erst um oder nach 20 Uhr.

Heute bin ich in Lalin. Dieser Ort ist quasi der Mittelpunkt von Galicien, es gibt ein 0 km-Punkt an einer Kreuzung. Beim Ankommen haben mich schon drei Pilgernde freundlich begrüßt, nach dem Einchecken hab ich mich mit einem Kaffee zu ihnen gesetzt. Sie sind aus Amerika, gehen den Weg von Ourense nach Santiago (ca 100 km, das berechtigt zum Erhalt der Compostela, der Pilgerurkunde). Das ist der letzte Teil der Via de La Plata, wo ich vor zwei Jahren auch gepilgert bin. Die drei haben heut einen Pausentag und sind mit dem Bus hierher gefahren. Morgen werden sie wieder auf ihrem Weg gehen und irgendwo werden unsere beiden Wege sich dann treffen. So war es heut für mich wahrscheinlich der letzte einsame Pilgertag, ich rechne damit, dass morgen wieder mehr Pilgernde unterwegs sein werden.

Chantada – Robeiro

Ich hatte gestern Glück und konnte um 19 Uhr eine Messe in der großen Pfarrkirche mitfeiern. Sie war gut besucht, von Menschen unterschiedlichen Alters. Ministranten hab ich hier allerdings noch nie gesehen und im Normalfall wird auch nichts gesungen. Das Gloria und das Heilig, alles gebetet. Einmal erst hab ich Orgelbegleitung erlebt und in Ponferrada vorigen Sonntag sang ein Chor mit Gitarrenbegleitung. Der Pfarrer gestern legte das große Messbuch weg und las die Gebete vom Handy ab. Eigenartig.

Der heutige Tag bestand am Vormittag aus Aufstieg auf und am Nachmittag aus Abstieg vom Monte Faro. Das Problem war nur, dass die Bar, die nach 8 km angekündigt war und wo man sich unbedingt für den Aufstieg stärken sollte, geschlossen war. Und ich hatte hier das Frühstück geplant! So musste ich den ganzen Tag mit meinen restlichen Nüssen auskommen, erst 2 km vorm heutigen Ziel fand ich eine Bar – voll besetzt, ein Kommen und Gehen, aber leider nur etwas mit Fleisch oder Fisch im Angebot. Ich entschied mich dann für Pommes Frites. Zusammen mit Tonic und Kaffee für 5€.

Was macht eigentlich einen Pilger, eine Pilgerin aus? Ganz ursprünglich war diese Bezeichnung nur für Menschen gedacht, die nach Santiago gehen. Diejenigen nach Rom hießen ‚Säulen‘, und die nach Jerusalem hatten auch einen eigenen Namen. Jetzt wird dieses Wort gern verwendet. Aber es ist etwas anderes als wallfahrten oder weitwandern. Und für mich reicht es nicht, sich eine Muschel auf den Rucksack zu geben und loszuziehen. Für mich sind definitiv zu viele Weitwanderer unterwegs.
Als Pilgerin habe ich das Minimalismus-Motto ‚KISS‘ (keep it small and simple), was das Gepäck, die Vorbereitungen, den Aufwand, den Komfort, .. betrifft. Ich möchte meinen Rucksack selbst tragen, möchte die ganze Strecke selbst gehen und in einfachen Unterkünften übernachten. Und das möglichst auch in Gemeinschaft mit anderen. Aber natürlich kann es zu Situationen kommen, wo aus gesundheitlichen Gründen das eine oder andere nicht möglich ist und dann ist es gut, dass es andere Möglichkeiten gibt.
Und es ist schön, dass ich einige Pilgerinnen erlebt habe, die Inhalte ihres Rucksacks nach Hause geschickt haben und begonnen haben, ihn selbst zu tragen. Weil sie dann mehr Freiheit erleben und sich besser auf die Überraschungen des Weges einlassen können.
Einfaches Pilgerleben, und doch nichts im Vergleich dazu, wie die Menschen früher hier unterwegs waren ..
Achja, und die 100 km-Marke hab ich heute auch geknackt, momentan sind es noch ca 80 bis Santiago.

Monforte de Lemos – Chantada

Der heutige Tag war für mich die Königsetappe dieses Weges. Von den 30 km ging es den Großteil auf alten Landstraßen, stetig bergauf, der Asphalt ermüdet die Füße. Und dann auf diesen alten steinigen galicischen Pilgerwegen ganz steil hinunter zum Fluss und auf der anderen Seite wieder genauso steil bergauf, entlang der terrassierten Weingärten. Ich liebe diese Wege, auch wenn sie sehr anstrengend sind: seit 1000 Jahren begangen und bebetet.
Auf dem Weg traf ich auch eine deutsche Pilgerin, sie hat den Weg erst heut gestartet, ist auch nicht dort ganze Etappe gegangen. Aber wir nutzen die Gelegenheit, gegenseitig Fotos zu machen.

Manchmal, wenn ich in einen Ort komme, läuten zufällig gerade die Mittagsglocken. Und oft kommt auch ein Glockenspiel dazu, das das Ave Maria spielt. Nachdem das jetzt schon einige Male so war, hab ich den Verdacht, dass das über Lautsprecher eingespielt wird.
Es gibt ja viele Kirchen auf dem Weg, aber leider sind sie alle geschlossen. Auf dem Camino Frances war es teilweise so, dass jemand drinnen saß und einen dieser beliebten Stempel anbot, gegen eine kleine Spende. Da konnte man zumindest hinein und für einige Minuten Ruhe finden.
Nun, Ruhe find ich hier auf dem Weg eh genug, trotzdem sind Kirchen für mich etwas ganz Besonderes, spirituelle Orte. Das ist auch so ein Stück Lebensfluss und Verbundenheit: mit den Christinnen und Christen aller Zeiten, die in diesem Häusern beteten, sangen, feierten. Und mit den Gläubigen heute, die überall auf der Welt in denselben Worten feiern. Es ist für mich so erhebend, wenn bei einem Gottesdienst in den verschiedensten Sprachen, aber ganz im Einklang, das Vater unser gebetet wird. In diesen Momenten bin ich unendlich dankbar, fühle ich mich sehr verbunden und verwurzelt in meinem Glauben und in meiner Glaubensgemeinschaft, die mich durch das Leben trägt.
Und dann ist es interessant, was mit den Kirchen passiert oder wie sie auch genutzt werden können:
In Foncebadon etwa wurde die Feierrichtung gedreht und an die Zahl der Mitfeiernden angepasst. Die jetzt leere zweite Hälfte der Kirche ist Herberge. Hier können Pilgernde auf Matten schlafen.
In einen anderen Ort ist aus der Kirche eine kleine Volksschule geworden, mit Glockenturm.

Und in dem verlassenen Dorf Nogueiras sind nur mehr Reste der Kirche vorhanden, das Dach ist eingestürzt, aber die Marienstatue steht noch da und wird verehrt – im Freien!
Viel genützt dürften diese Dorfkirchen nicht werden, in Barxa de Lor pas ich an der Kirchentür die Einladung zur Messe am 15. Juli.
Da heute Sonntag ist, werde ich schauen, ob ich vielleicht irgendwo eine Kirche finde, in der ich wieder einmal eine Messe mitfeiern kann.

Barxa de Lor – Monforte

Weil ich gestern so negativ über die ‚Taxipilger‘ gesprochen habe: ‚We should not judge!‘ Wir sollen nicht urteilen! Das hat Angel, ein junger kalifornischer Pilger, auf dem anderen Weg zu mir gesagt, als wir über die verschiedenen und für mich absurden Möglichkeiten sprachen, wie man auf dem Jakobsweg unterwegs sein kann. Jeder macht es nach den eigenen Möglichkeiten, Bedürfnissen, vielleicht auch nach dem eigenen Mut. Und es ist richtig so.
Angel war schon einige Zeit mit drei anderen jungen Pilgernden unterwegs gewesen, jetzt hatte er sich entschlossen, den Weg alleine weiterzugehen. Er hatte gemerkt, dass er im dauernden Austausch mit anderen sich selbst nicht wahrnehmen konnte. Weil er wusste, dass ich den Weg auch alleine gehe, fragte er mich: ‚Aber was machst du, wenn du von A nach B gehst?‘
‚Beten, meditieren, singen, bekannte Melodien mit neuem Text erfinden, schauen, hören, staunen. Und auch an andere Menschen denken.‘ Das gab ich ihm mit. Es würde mich interessieren, wie es ihm damit geht. Ich jedenfalls hab genug Gelegenheit, das alles zu praktizieren, und manchmal denke ich auch an Gespräche mit lieben Pilgernden. Wo sie jetzt wohl schon unterwegs sind?

Der Weg führte heute durch Eichenwälder und kleine Siedlungen und erinnerte mich sehr an zu Hause. Es war gemütlich zu gehen und auch nicht weit.

Nach knappen 20 km hatte ich mein Tagesziel erreicht: Monforte de Lemos, eine Stadt mit uralter Geschichte, schon seit der Bronzezeit lückenlos besiedelt. Eine Festung mit Wehrturm und Kloster thront über der Stadt. Aber sonst gibt es hierzu nicht viel. Die beste Zeit hat diese Ansiedlung offensichtlich hinter sich.

Quizoga – Barxa de Lor

Etwas heruntergekommen war die Herberge von letzter Nacht und viel zu groß für die wenigen Pilgernden. Deswegen wird sie im Sommer auch für Schulklassen und Kinderferienwochen verwendet. Und in der Erntezeit für Saisonarbeiter. Solche waren da, sie helfen bei der Weinlese.
Etwas heruntergekommen fühlte sich auch der Ort an, so viele Geschäfte und Bars waren geschlossen und das erste Mal in dieser Zeit musste ich auf Mikrowellenessen umsteigen. Pilzrisotto … naja.
Das Rätsel mit den Rucksäcken hat sich dann auch gelöst. Drei spanische Pilger waren im Zimmer neben mir einquartiert und morgens hörte ich sie zuerst dort lautstark und dann unter meinem Fenster. Bis ein Taxi kam und sie damit davon fuhren.
Das wurde mir schon öfter erzählt: Pilgernde lassen sich zu den schönsten Abschnitten mit dem Taxi bringen, gehen dieses Stück und werden dann wieder weitergeführt.
Zum Beispiel ein Schweizer: Weil er beim Buchen der Reise keine Zimmer mehr bekam, schlief er in einem Hotel in Burgos und ließ sich vom Taxi zu den einzelnen Etappen bringen und wieder holen. Der Urlaub kostete ihn über 3000€.
Oder die irische Vier-Männer-Partie: sie bekamen nur eine gemeinsame Woche Urlaub und machen den Camino im Schnelldurchlauf, gehen einzelne Streckenabschnitte, holen sich Stempel, und lassen sich von Taxis weiterbringen.

Ich hingegen war heute meinen 30. Tag unterwegs. Manche bewundern mein Durchhaltevermögen, manche fragen mich: wann kommst du jetzt endlich an? Im Moment bin ich ca bei km Santiago minus 155. Nachdem ich täglich ca 20-25 km gehe, und das ist hier bei diesen Steigungen wirklich genug, werde ich noch 7-8 Tage pilgern. Das hängt allerdings auch von den möglichen Unterkünften und Streckenabschnitten ab. Den heutigen habe ich z. B. auf zwei Tage aufgeteilt, da es insgesamt 37 km gewesen wären.
So bin ich in einem winzigen Dorf gelandet, es besteht nur aus einer römischen Brücke an einem Fluss, der vorbei plätschert, diesem Gasthaus, einer kleinen Kirche und vielleicht zwei bewohnten Häusern. Die Stille wird nur durch die Autos gestört, die hoch über mir auf der Autobahn fahren.

A Rua – Quizoga

Der andere Pilger checkte gestern in derselben Herberge ein und es stellte sich heraus, dass er die ersten zwei Tage etwas andere Etappen gegangen war. Und das Nette: er kommt aus Deutschland und wir können uns gut miteinander unterhalten. Das ist nämlich auch etwas, das sich mit dem neuen Camino total verändert hat: auf dem Frances hat jeder, auch wenn ich etwas in Spanisch sagte, sofort auf Englisch geantwortet, weil es einfacher war. Und die ‚Verkehrssprache‘ der Pilgernden war sowieso Englisch.
Hier auf dem Weg spricht niemand mehr als einige Worte Englisch, ich kann, darf, muss jetzt mein Spanisch verwenden. Das mache ich gern, aber manchmal ist es eine Herausforderung, all das zu verstehen, was andere erzählen. Wie zum Beispiel die beiden ultranetten und zuvorkommenden Hospitaleros gestern. Schon erstaunlich: ich befinde mich ca 40 km Luftlinie südlich von Frances und bin in einer völlig anderen Welt!
Auch bei den gelben Pfeilen muss ich jetzt besser aufpassen. Letzte Woche hatte ich schon kilometerweit gesehen, wo der Weg hingeht, wo die Pilgerden in der Ferne unterwegs sind. Auf Pfeile brauchte ich nicht zu achten. Jetzt mache ich das sehr wohl, und manchmal übersehe ich sie auch. Dann verpasse ich schon mal eine Abzweigung. Zum Glück gab es einen Engel, der ein Fenster öffnete und mich auf den richtigen Weg leitete. Wenn ich mir unsicher bin, hilft mir auch die App ‚Buen camino‘, wo ich meinen Standort sehe und wieder auf den Weg zurückfinde.

Der erste Teil des heutigen Weges war wieder sehr bedrückend. Ich ging mitten durch ein Waldbrandgebiet, dann in der Asche einen Hügel hinunter, mir vorstellend, dass hier vor zwei Monaten alles in Flammen stand. Und dann sah ich Hoffnungszeichen an den Bäumen: die Menschen haben verschiedene Tiere gestaltet und an den verkohlten Stämmen montiert. An einem Strommasten las ich: ich überlebte 2025. In Situationen totaler Verzweiflung gibt es immer Möglichkeiten, das Leben zu gestalten und gegen das Schicksal anzumalen, anzuschreiben, ..

Später ging es wieder dieses Flusstal des Sil entlang teilweise auf sehr alten Wegen, und ein wenig erinnerte es mich an die Donau. Unzählige Höhenmeter waren das heute und nach 28 km war ich wirklich erschöpft und froh, hier in Quiroga anzukommen. Mein deutscher Pilgerfreund wird noch erwartet und zwei Rucksäcke stehen auch da. Sie wurden vom donkey-Service gebracht, ich bin neugierig, ob ich die Besitzer sehe und wo sie herkommen. Auf dem Weg war ich nämlich auch heute ganz alleine.