Ledigos -Bercianos

Die letzte Nacht war die bisher beste auf dem Camino! Obwohl wir sehr viele in dem ausgebauten Dachstuhl waren, hab ich sooo gut geschlafen, und das bis 7 Uhr! Die Landschaft war heute etwas abwechslungsreicher und es ging auch durch einige Dörfer. Ich kam auch durch Sahagun. Hier steht das offizielle Denkmal, das uns noch einmal bewusst machte, dass wir die Hälfte des Weges geschafft haben.

Mein Tagesziel war Bercianos, ein kleiner Ort, wo ich schon vor 8 Jahren übernachtet hatte. Die Herberge wird von Hospitaleros geführt und ich fühle mich hier sehr wohl.
Auf dem Weg bin ich schon gestern und auch heute in eine Gruppe Deutscher geraten. Sie sind zwei Wochen hier und haben ähnliche Etappen wie ich. Sie gehen mit kleinem Rucksack, das Gepäck wird von donkey-Service weitergeführt und sie übernachten in nobleren Unterkünften. Eine Herberge? Nein, das könne sie sich nicht vorstellen, meinte eine von ihnen. Auf dieser Werbetafel wird auch genau das versprochen: wohnen, wie man es als TouristIn gewohnt ist.

Dabei weiß sie gar nicht, was sie verpasst.

Das habe ich auch gestern Abend gemerkt, als ich mit einem australischen Pilger gesprochen habe. Die ganze Reise ist durchgeplant, alle Quartiere sind bestellt, die Rückreise fix. Als ich dann von meinem Erlebnissen in den verschiedenen Herbergen erzählt habe, wurde er nachdenklich. Schade, vielleicht das Wichtigste zu verpassen!
Einer aus der deutschen Gruppe meinte, warum ich denn hier sei, es gäbe doch auch in Österreich schöne Wanderwege. Ich antwortete, weil ich den Jakobsweg nach Santiago gehen möchte. Es macht mich traurig , dass für so viele offenbar hier einfach ein Wanderweg mit best ausgebauter Infrastruktur ist, auf dem man bequem wandern kann.
Und sie denken nicht daran, welche Kraft in diesem Weg liegen kann und dass die Menschen seit tausend Jahren hier unterwegs sind mit ihren Sorgen, Bitten, Ängsten, mit ihrer Reue und mit ihrer Dankbarkeit. Und dass die meisten von ihnen verändert nach Hause kamen.

Villalcazar de Sirga – Ledigos

Gestern Abend hatte ich mein Abendessen mit Anja aus Deutschland. Sie treffe ich seit einigen Tagen immer wieder und gemeinsam besichtigten wir dann noch die Kirche. Sie ist viel zu groß für diesen kleinen Ort. Ursprünglich aus der Romanik wurde sie vom Templerorden zu einem Kloster ausgebaut, das wie eine Burg den Ort beherrscht.

Über den heutigen Tag gibt es nicht viel zu berichten und die einzelnen Fotos sehen alle sehr ähnlich aus. Schnurgerade und endlos lange Wege durch eine Ebene von Getreidefeldern. Diese sind abgeerntet, aber nicht geackert, und auf manchen liegt noch das Stroh. Vielleicht weil auf geackerten Feldern der Wind die Erde noch mehr vertragen und austrocknen würde?
Jedenfalls hab ich jetzt die Hälfte des Weges geschafft, heute gab es den offiziellen Kilometerstein.

Immer wieder sieht man auf dem Camino Botschaften, die jemand hinterlassen hat – auf Wände, auf Hinweisschilder oder auch auf Steine geschrieben. Eine davon sah ich an einem meiner ersten Tage: Walk with love!
Wenn das immer so einfach wäre! Jeden Tag erinnere ich mich an diesen Satz, denn jeder Tag hat auch so seine Herausforderungen:
Wenn ich in der Nachmittagshitze von einem Schwarm surrender Fliegen begleitet werde und es einer gelingt, sogar in mein Nasenloch zu gelangen.
Wenn sich 100 m hinter mir englischsprachige Pilger so lautstark miteinander unterhalten, dass ich fast jedes Wort verstehen kann.
Wenn eine amerikanische Zimmerkollegin die ganze Nacht lang ein Hörbuch aufgedreht hat, obwohl sie lautstark schnarcht.
Wenn mit dem e-Bike Pilgernde in Höchstgeschwindigkeit bergauf an mir vorbei fahren und mich einfach ignorieren.
Überhaupt ist das Verhältnis zwischen Fuß-und Radpilgernden nicht immer ganz konfliktfrei. Wir sind ja oft auf denselben Wegen unterwegs. Von Fußpilgernden wird erwartet, dass sie zur Seite springen, wenn jemand mit dem Rad kommt. Manche ignorieren das dann bewusst, gehen einfach nebeneinander weiter und bremsen die Radfahrer so ein.
Walk with love – jeden Tag eine neue Herausforderung. Hier auf dem Camino und noch mehr im alltäglichen Leben.

San Nicolas -Villalcazar de Silva

Der gestrige Abend war der bisher schönste, den ich hier erlebt habe. Die Kirche wurde im 12. Jhdt gebaut und war ursprünglich ein Spital des Malteserordens für die Pilgernden auf dem Weg. Später wurde es zur Kirche. Jetzt wird es von italienischen Freiwilligen als Pilgerherberge geführt. Es gibt keinen Strom , also auch kein elektrisches Licht. Bevor es zum Abendessen ging, wurden uns nach dem Vorbild Jesu die Füße gewaschen und dazu ein Segen gesprochen. das endete mit einem gemeinsamen Vater unser in der jeweiligen Sprache. Und das waren gestern viele: Englisch, italienisch, spanisch, französisch und deutsch. Eine bunte Schar von 12 Pilgernden, so wie ich es vor 8 Jahren erlebt habe. Das vegetarische Essen schmeckte ausgezeichnet, danach wurde abgeräumt, abgewaschen und für uns vier, die wir im Altarraum unter der Kuppel schliefen, Campingbetten hergerichtet. Bequem war es nicht, aber eine unvergessliche Erfahrung. Um halb sieben weckten uns gregorianische Choräle und wir bekamen ein einfaches Frühstück, bevor wir wieder mit einem Segen verabschiedet wurden.

Beim Abendessen gesellten sich auch drei französische ‚Pilgernde‘ dazu. Die Frau erzählte, dass sie mit einem Freund unterwegs seien, dessen Traum es war, den Jakobsweg zu gehen. Nachdem er das aber körperlich nicht mehr schaffe, fuhr er in die Bretagne, kaufte sich dort ein Pferd und einen Wagen und startete im Frühjahr den Weg vom Elsass Richtung Spanien. Nach acht Wochen haben sie abgebrochen, weil es zu heiß wurde. Nun sind sie wieder unterwegs, und zwar der Freund mit seinem Pferdewagen, die Frau mit Auto mit großem Anhänger, ihr Mann mit Auto und Pferdeanhänger. Denn so werden sie Pferd und Wagen dann nach Hause transportieren. Das Pferd wird sich der Freund hoffentlich auch später behalten.

Es dürften aber auch noch andere Pferde hier unterwegs sein, denn auf dem Fußweg lagen heut immer wieder Pferdeäpfel. Überhaupt war es heut schon ein Vorgeschmack auf morgen, wo es 18 km durch die Meseta geht ohne ein Dorf. Unglaublich lange gerade Strecken, zuerst am Kanal von Fromista entlang, dann neben einer Autostraße, und später in der prallen Sonne. Es sind merkbar weniger Pilgernde unterwegs, also gibt es doch einige, die sich dieses Stück sparen.

San Bol – San Nicolas

Es war herrlich entspannend in der gestrigen Einöde, es gab eine vorzügliche Paella in einem runden Esszimmer mit Kuppel und abends hörten wir nur die Grillen zirpen. Wie immer startete um 6 Uhr früh der Morgenrummel, um 6.45 war ich unterwegs in der totalen Stille und unter einem herrlichen Sternenhimmel. Es war einzigartig! Und langsam ging hinter mir die Sonne auf.
Heut passierte ich das Dorf Hontanas, wo wir mit unserer Pfarrreise 2011 auch Station machten und ein Stück des Weges gemeinsam gegangen sind. Dabei kamen viele Erinnerungen, auch an Menschen, die damals dabei waren. Dann pilgerte ich weiter durch die Kirchenruine von San Anton und nach Castrojeriz, wo eine Burg den Ort bewacht.

In der riesigen Kirche Sta Maria de la Manzana werden nicht nur Messen in zwei Himmelsrichtungen gefeiert, sondern auch alte Statuen und liturgische Geräte ausgestellt. Auch liturgische Gewänder werden präsentiert. Für 1€ darf man sich das ansehen. Ein Zukunftskonzept für zu große Kirchen?

Und dann musste ich wieder sehr bergauf! Egal ob ich nach vorne oder hinten schaute, es war so unglaublich weitläufig und schön! Das ist die Meseta! Gestern zeigte ich euch ja ein Foto mit meinem ‚Pilgerfreund‘ in Burgos. Meine wahren Pilgerfreunde hier sind aber meine Füße und meine Schuhe, die mich so verlässlich durch all die Tage tragen. Nur ganz kleine Blasen habe ich bekommen, kein Vergleich zu den anderen Jahren und zu dem, wie die Füße anderer aussehen.

Mein Tagesziel war heut San Nicolas, eine alte Kirche, in der italienische Hospitaleros eine Herberge betreiben. 12 Plätze gibt es hier nur und es war spannend, ob ich Glück haben würde. Ich kam ca um 13.30 an, die Tür war zu und die Pilgernden, die vor der Kirche im Schatten saßen, sagten mir: Leider voll! Aber eine Erkenntnis dieser Tage: traue nie dem, was andere dir sagen! Es gibt so viele Gerüchte hier, die Stress verursachen. So klopfte ich an die Kirchentür, es wurde geöffnet und – natürlich haben sie was frei! Ich konnte sogar aussuchen, ob ich einen Platz im Stockbett möchte oder lieber auf einem Campingbett im Altarraum schlafen möchte. Das ist eine tolle Möglichkeit, das nehme ich!

Burgos – San Bol

Es war ein Privileg gewesen, in der gestrigen Herberge übernachten zu dürfen. Sie liegt über einer kleinen Kapelle und gehört einem privaten katholischen Verein. Man musste zu Fuß als Pilgernde gekommen sein. Radfahrer, Touristen, Rucksackreisende,… waren unerwünscht. Und Terry, ein englischer Pilger, der mit dem Bus gekommen war, weil er ein kaputtes Knie hat, brauchte eine ärztliche Bestätigung, damit er bleiben durfte. Der Andrang war aber nicht so groß. Von den 16 Plätzen waren nur fünf belegt. Der Hospitalero führte ein strenges Regiment und erklärte uns erst die Regeln, dann sollten wir entscheiden, ob wir bleiben wollten. Ich wollte, denn die Herberge war sehr zentral in der Altstadt und ich brauche nur das Übliche: Bett und Waschmöglichkeit. Obwohl: auch das war sehr spartanisch. Auf den Plastikmatratzen und -Polstern gab es keine Bezüge, die einfache Dusche hatte keinen Mischwasserhahn und die Wäsche hängten wir in ca 6 m Höhe beim Küchenfenster raus auf eine drehbare Wäschespinne.
Burgos ist ja die Hauptstadt Kastiliens, wurde im 9. Jhdt gegründet und die Kathedrale stammt aus dem 13.-15.Jhdt. Egal von welcher Seite man sie betrachtet, sie ist beeindruckend. Von innen besichtigte ich sie diesmal nicht, ich besuchte nur am Abend die Pilgermesse.

    Burgos liegt auf 856 m Seehöhe und wenige Kilometer weiter beginnt die Meseta, eine Hochebene, die sich bis Leon erstreckt. Von Pilgernden ist sie oft gefürchtet, weil es keine Bäume, also auch keinen Schatten gibt. Viele fahren daher mit dem Bus von Burgos nach Leon und gehen dann weiter. Theresa, eine amerikanische Pilgerin ca. in meinem Alter, fragte mich vor einiger Zeit beim Frühstück, ob ich es empfehlen würde, durch die Meseta zu gehen. Ihr Reisebüro hätte ihr davon abgeraten, weil es zu anstrengend sei. Ich sagte: ‚Auf jeden Fall! Die Meseta gehört auch zum Camino. Und der ist für mich ein Bild des Lebens. Und im Leben ist es auch nicht immer leicht, man kann sich auch nicht das Schwere ersparen.‘ In Belorado hab ich Theresa zufällig bei der Kirche wiedergetroffen und sie hat sich herzlich bedankt für diese Ermutigung. Sie will die Meseta durchwandern.
    Wobei: mühsam ist es natürlich schon. Ewig lange Anstiege und wenige Dörfer, die Pause und Einkehr ermöglichen. Und das war heute erst der Beginn.
    Mit der Herberge hatte ich Glück: mitten im Nirgendwo liegt sie, hat 10 Plätze in Stockbetten und eine Quelle und nach einigem Hin und Her bekam ich doch noch das allerletzte Bett, weil eine Buchung nicht für heute, sondern für morgen galt.

    Atapuerca – Burgos

    Die letzte Nacht verbrachte ich in einer privaten Herberge. Sie wird von einer ehemaligen Psychotherapeutin und Pilgerfreundin betrieben und es gibt auch (vegetarisches) Abendessen. Dieser Ort ist zum Wohlfühlen, wirklich geschmackvoll eingerichtet, in den Zimmern nur einige Betten und diese sogar mit Bettwäsche bezogen! Und das für 15 € pro Nacht! Allerdings nur, wenn man nicht vorreserviert hat. Mit Reservierung kostet es 20 €. Auch das dreigängige Menü um 12 € war ein Genuss.
    Der einzige, aber für mich ziemlich gewichtige Nachteil: es waren hier viele, die die Quartiere der Reise vorgebucht haben, vor allem aus Amerika. Und sie unterhielten sich so lautstark! Und natürlich wussten sie, warum in Amerika alles so gekommen ist, .. mir war das alles zu viel und ich sehnte mich nach einer öffentlichen oder kirchlichen Herberge, wo man die wahren Pilgernden trifft und mehr Ruhe hat. In meinem Zimmer war ein Ehepaar und das hier war ihr Gepäck: zwei große Rucksäcke und ein Riesenkoffer!

    Ich war gestern ja in Atapuerca. Hier hat man in Höhlen menschliche Überreste gefunden, die über 800.000 Jahre alt sind. Der Ort wurde dadurch weltberühmt als Heimat der ersten Europäer. Ich besuchte dort am Abend auch einen archäologischen Park, leider nur von außen. Heute bin ich bis Burgos gepilgert und hier werden im ‚Museum der menschlichen Entwicklung‘ die gefundenen Stücke ausgestellt. Unglaublich: ich sah 850.000 Jahre alte Knochen! Wie diese Menschen wohl gelebt, gefühlt, gedacht haben?
    Sehr gut aufbereitet ist im Museum die Entwicklung des Menschen vom Affen über die 3,4 Millionen Jahre alte Lucy aus Kenia und den Homo antecessor aus Atapuerca bis zum Homo sapiens. Hier einige Fotos meines Museumsbesuches:

    Jetzt werde ich mich auf eine Tour durch die Stadt begeben und am Abend die Pilgermesse in der Kathedrale besuchen.

    PS: das mit den Kommentaren funktioniert leider nicht immer gut. Ich freue mich aber über eine persönliche Nachricht auf WhatsApp.

    Tosantos – Atapuerca

    Es war dann gestern Abend doch ganz anders. Am Nachmittag hatte es vor der Kirche ein Paellaessen für mindestens den ganzen Ort gegeben. Die Reste wurden unserer Albergue gespendet. Nachdem José-Luis, dem Chef, aber Paella nicht schmeckt, wollte er trotzdem kochen, oder doch nicht? Oder keinen Salat? Es folgten mindestens 30 Minuten Diskussion zwischen ihm und der japanischen Hospitalera. Dieses 82jährige Original wirkte ziemlich wankelmütig und auch etwas frustriert. Letztendlich gab es einen tollen gemischten Salat und von der Paella aß ich den Reis, die Meeresfrüchte kann man eh gut aussortieren. In der schönen Kapelle trafen wir uns dann zum Abendgebet in den unterschiedlichen Sprachen und zum Schluss bekam jede und jeder von uns einen Gebetsbrief, den Pilgernde geschrieben haben. Das waren keine Geschichten, die leicht zu verdauen sind. Traurig, welche riesigen Rucksäcke Menschen in ihrem Leben mitschleppen. An diesem Ort wurde manche Verletzung, manches Schwere, das erste Mal aufgeschrieben und vielleicht auch abgelegt. 20 Tage lang wird dann für das jeweilige Anliegen gebetet.

    Der heutige Tag lief sehr gut, ich kam auf der ausgebauten Pilgerautobahn gut in den Flow und unterbrach nur für eine Pause bei einem Donativo auf dem Weg, wo ein Señor mit Pilgerumhang und Clownnase den Pilgernden eine herrliche Melone anbot und sie mit seinen Späßen und guter Musik unterhielt.

    Fast zwei Wochen bin ich jetzt schon unterwegs und abgeschottet davon, was sich in der Welt so tut. Aber ganz können wir dem hier auf dem Camino nicht entkommen. Ich hab die junge Ukrainerin Olga kennengelernt, die in Berlin lebt, ihre Eltern sind in Kiew. Wir haben darüber gesprochen, dass es zwischen einzelnen Familien durchaus konfliktreich ist: Die einen, deren Kinder an der Front für das Land kämpfen, die anderen, deren Kinder im sicheren Ausland auf ein Ende des Kriegers warten. Und alle wollen doch nur eine gute und sichere Zukunft!
    Eine andere Begegnung möcht ich euch auch noch erzählen: in der kirchlichen Herberge kam ich mit einem jungen Mann ins Gespräch, der mit seinem Bruder unterwegs ist, immer gut gelaunt. Als ich ihm sagte, dass ich aus Österreich komme, antwortete er auf Englisch: ich bin auch Österreicher, ich hab auch einen österreichischen Pass! Sein Urgroßvater ist 1938 aus Wien nach Israel geflohen. Er hieß Hans und war Schauspieler, mehr wusste Dan leider nicht. Es gab ja vor einiger Zeit das Angebot der Staatsbürgerschaft an alle Nachkommen der Geflohenen, das hat Dans Familie angenommen. Ich hatte schon in den ersten Tagen einen Israeli auf dem Rad getroffen und mich gefragt, wie es jüdischen Menschen hier in Spanien geht. Es gibt immer wieder Parolen für Demos an den Wänden und das Land ist eindeutig auf der Seite der Palästinenser. Vielleicht hab ich ja in den nächsten Wochen noch Gelegenheit, das zu fragen, hier auf dem Weg trifft man sich ja immer wieder.

    Grañón – Tosantos

    36 Personen waren wir gestern in dieser traditionellen Herberge, es gab riesige Salatschüsseln, Pasta mit Tomatensauce und Chorizo, den spanischen Würstchen. Diese konnte ich gut aussortieren und meinen Nachbarn geben.
    Die spanische Messe, inklusive der Predigt und den Fürbitten, wurde simultan übersetzt und war auf einem Bildschirm in Englisch mitlesbar! Ein ziemlicher Aufwand und eine Kunst, denn der Priester sprach wirklich spontan und typisch spanisch sehr schnell.
    Abends trafen sich noch einige wenige zu einem Nachtgebet auf dem Chor der dunklen Kirche, mit sehr persönlichen Gebeten in verschiedenen Sprachen und so manchen Tränen der Berührtheit.

    Heute wechselte ich von der Rioja in die nächste Region, nach Kastilien-Leon, der Getreidekammer Spaniens. Mehr als ein Viertel des Weges hab ich nun schon hinter mir. Laut meinem Buch bin ich jetzt 552 km vor Santiago, wobei die Angaben recht widersprüchlich sind. Schon gestern dann ich eine Tafel mit 563 Restkilometern, heute morgen waren es wieder 576.

    Bis jetzt hatte ich ja traumhaftes Pilgerwetter mit bewölktem Himmel und etwas Wind. Heute war es das erste Mal so richtig heiß und ich war froh, dass ich die Albuerge, ebenfalls eine mit kirchlichem Hintergrund, schon um 12.30 Uhr erreichte. Der ‚Herbergsvater‘ José-Luis wird in meinem Buch als großherzig und ganz im Geist von Taizé beschrieben. Offensichtlich hat er jedoch ein Problem mit VegetarierInnen. Er meinte, hier sei kein passender Platz für mich und ich solle noch 4 km weiter gehen, da sei auch eine Albergue. Pilgernde müssen nämlich Fleisch essen, denn die brauchen die Kraft! Keine Ahnung, wie ich die letzten 40 Jahre und vier Jakobswege überlebt habe. Weitergehen wollte ich jedenfalls nicht, ich werde halt nur Salat essen, wie schon so oft. Und ich freue mich auf das versprochene Taizé-Gebet am Abend.

    Azofra – Grañón

    Der gestrige Abend gestaltete sich sehr nett. Wir waren sechs Frauen aus vier verschiedenen Ländern und gemeinsam essen und hatten dabei die persönlichsten Themen. Alle erhoffen sich vom Camino etwas: einen guten Übergang in eine neue Lebensphase, die Lösung eines familiären Problems, einer Lebenskrise, oder Hilfe bei einer Angststörung.
    Besonders betroffen machte mich Amy, eine der drei Amerikanerinnen am Tisch, die meinte: wir suchen etwa Hoffnung und gutes Leben. In Amerika ist es jetzt so dunkel geworden! Sie ist schon die zweite Frau auf dem Weg, die bei einer non-profit oder ökologischen Organisation arbeitete und aufgrund der Trumpschen Einsparungen gekündigt worden ist.
    Der Abend war nett, der Morgen eine Herausforderung: aufgrund der Dunkelheit verfehlte ich einen Pfeil und folgte zwei Amerikanerinnen mit Stirnlampen, in der Hoffnung, dass sie auf dem richtigen Weg unterwegs sind. Der Weg wurde immer schlechter und so zogen wir Richtung eines Dorfes, in der Hoffnung, und dort wieder zurecht zu finden. Das erste Mal auf diesem Weg startete ich die App ‚Buen Camino‘, die mir anzeigte, dass wir in die falsche Richtung gingen, aber das wollten die anderen nicht glauben. Erst als und zwei Meter alte Herren erklärten, dass wir auf der Straße drei Kilometer zurückgehen müssten, dort würden wir wieder auf den Camino treffen. Drei Kilometer! Das ist schon weit!, meinte ich auf spanisch, in der Hoffnung, dass er vielleicht Mitleid habe und und uns mit dem Auto hinbringen würde. Hatte er leider nicht und meinte nur: ‚ihr wollt doch bis Santiago, das ist auch weit!‘ Aber als wir dann zu Fuß dort ankamen, wo die anderen Pilgernden marschierten, stand er mit seinem Auto da und zeigte uns nochmal, wo wir hin müssen.
    Später kam ich an einem Golfklub vorbei und genoss im dazugehörigen Cafe endlich mein wohlverdientes Frühstück. Mit Schönborn kann sich diese Anlage allerdings nicht vergleichen.

    Höhepunkt des heutigen Tages war der Besuch der Kathedrale von Santo Domingo de la Calzada. In dieser Kirche steht dass Grab des Hl. Dominikus, was aber noch viel charmanter ist: dass gleich daneben in der Kirche ein Huhn und ein Hahn, beide in weiß, in einem Käfig gehalten werden. Das geht auf eine alte Legende zurück. Einmal krähte der Hahn, während ich in der Kirche war, dass soll Glück bringen.

    Ziel der heutigen Etappe ist die traditionelle Herberge von Grañón, die ich wie etliche andere ganz bewusst ansteuerte, weil hier gemeinsam gekocht, gegessen und gebetet wird. Und ein netter Garten ist auch dabei.

    Ventosa – Azofra

    Ich hab mir jetzt zwei ‚Schlankeltage‘ gegönnt mit jeweils nur ca 18 km. Das bedeutet, dass ich schon zu Mittag bei der Herberge bin und warten muss, bis sie aufsperrt. Dann beginnt die Nachmittagsroutine: Registrierung, Bett beziehen (leider oft mit einem Einmallaken), duschen, Wäsche waschen, Siesta, Kaffeepause, Blog und evtl persönliches Tagebuch schreiben, schauen, was es im Ort so gibt und wo ich etwas zu Essen finde. Gestern wurde in der Herberge Tiefkühl-Paella angeboten, sie hat ausgezeichnet geschmeckt.

    Verlässlich um 6 Uhr früh läutet bei irgendjemand im Zimmer der Wecker, dann stehen langsam alle auf und machen sich fertig zum Weggehen. Da ich gern ohne Frühstück starte, bin ich meist schon vor 7 unterwegs.
    Vorbei ging es heut an der besonders gestalteten Mauer einer Fabrik. Sie wurde bemalt mit der Bibliothek der Geschichte Navarras und mit dem Gedicht, das ein Priester aus Najera über den Camino geschrieben hat. Das sind so Highlights auf dem Weg. Oder auch die Strecke gestern entlang der Autobahn, wo die Pilgernden Holzkreuze in den Zaun stecken. Jedes Kreuz mit eine Bedeutung…

    Weil ich am Vormittag so viel Zeit hatte, besichtigte ich das Kloster Santa Maria de Real in Najera. Es wurde wegen des wundersamen Fundes einer Marienstatue in einer Höhle gegründet und beherbergt zahlreiche Sarkophage von Königen und Königskindern aus dem 11. Jhdt und später. Plötzlich sprach mich in der Kirche die zweite Besucherin an: sie habe so ein schönes Foto von mir gemacht, ob sie es mir schicken könne. Natürlich! Und später, als ich ruhig in der Kirche saß, kam einer Reisegruppe herein und bekam die Geschichte des Klosters in deutsch erklärt. Das sind so die kleinen Geschenke des Weges!

    Das heutige Ziel war Azofra, eine große, aber sehr ruhige öffentliche Albergue mit einem Becken zum Füße abkühlen.